Partei als Sorgenkind

Die Partei als Sorgenkind der Demokratie

Manchmal, wenn ich bei meiner Partei in einem Facharbeitskreis oder in einer regionalen Einheit zu Besuch bin, frage ich mich im Stillen, in die Runde schauend: Sind die Anwesenden überhaupt politische Akteure in dem Sinne, dass man mit ihnen etwas Politisches anstellen kann? Sind sie bewegt von dem Entwurf einer „inneren Republik“, als einer ganz persönlichen Interpretation des demokratischen Verfassungsstaats? Wäre ihre politische Individualität auch dort erkennbar, wo sie z.B. vor dem Plenum einer parlamentarischen Körperschaft sprechen? Mit anderen Worten: Sind sie überhaupt politisch authentisch?

Oft bleiben erhebliche Zweifel. Auf der Suche nach den Ursachen für die zu beobachtende Identitätsschwäche bei den Individuen ist es wichtig, sich die Partei anzusehen, in der sie ihr politisches Dasein fristen. Ich erlebe, dass die Leitungen der entsprechenden Gremien oft überhaupt nicht erkennen und auch nicht wissen wollen, welche Kompetenzen sich bei den Versammelten vorfinden. Da sitzen z.B. ein ehemaliger Landesschulrat, ein Schulleiterfortbildner, ein Schulinspektor und eine Lehrerausbilderin bei einer Landesarbeitsgemeinschaft zusammen, und die LAG-Sprecherin ruft als Tagesordnungspunkt die Medienerziehung (!) auf und lässt in aller Breite den behördlichen Bildungsplan referieren. Kostbare Zeit verrinnt. Kein Gespür für Fragen wie: Was heißt Politik in diesem Feld? Wie nutze ich den wertvollen Moment der Begegnung in dieser Runde? Wie kann ich die versammelten Kompetenzen optimal zur Geltung bringen?

Mit fortschreitendem Alter ist mein Gefühl: Ich kann, wenn ich als Demokrat eingreifen will, ohne das Parteihindernis wesentlich mehr persönliche Wirksamkeit entfalten, indem ich punktgenau, adressatengerecht und effizient interveniere und mir, wenn nötig, projektartig jeweils eine adäquate Organisationsform schaffe. Zu Organisationsfragen habe ich längst ein pragmatisches Verhältnis, weil für mich der politische Zweck nicht in der Form liegt. Seit längerem schon empfinde ich den Prozess meiner eigenen politischen Entwicklung als Emanzipation von meiner Partei; und – wie sich in den Dialogen über den Zaun feststellen lässt – so manchem Mitglied anderer Parteien ergeht es offenbar ähnlich.

Man fragt sich dann: Wieviel Kraft will ich darauf verwenden, meine Partei davon zu überzeugen, dass die öffentlichen Diskurse an ihr vorbeilaufen? An die grüne Landesarbeitsgemeinschaft Demokratie, Recht und öffentliche Sicherheit zu appellieren, das Thema „linke Gewalt“ endlich auf die Tagesordnung zu nehmen, nachdem wiederholt betrunkene Demonstrationsteilnehmer schwere Steine auf Menschen geworfen haben, erscheint als fruchtlos. Was wäre denn, wenn man nach unglaublichen innerparteilichen Mühen dort endlich einen Diskussionsabend über dieses Thema durchgesetzt hätte? Er bliebe höchstwahrscheinlich folgenlos. Kein vernünftiger Mensch tut sich jedoch solch eine Anstrengung an.

Aufs Ganze bezogen sind unsere Parteien in diesem Sinne längst zu riesigen Dämpfern demokratischen Engagements geworden, anstatt dasselbe zu fördern. Sie stoßen diejenigen ab, die Politikkompetenzen mitbringen, aber eben auch kompetent genug sind, die Qualität eines Parteigremiums nüchtern abzuwägen. Wenig tröstlich ist es dann, aus grünem Mund zu hören, bei der Konkurrenz sei ja alles noch schlimmer. Das mag stimmen – aber für jemanden, der politisches Kapital mitbringt, ist das nur ein schwacher Trost. Wenn es ihm um die Sache geht, wird er sich nach Alternativen umschauen, um die Ressource seines Engagements zur maximalen Wirkung zu bringen. Das heißt: Es sammeln sich außerhalb der Parteien immer größere Potenziale an Engagement an, und die Parteien wirken im Vergleich dazu retardiert.

Die Welt der demokratischen Öffentlichkeit wird selber pluraler. Sie ist auf die parteiliche Enge nicht mehr angewiesen. Das Beratungsbedürfnis bricht sich andernorts Bahn. Neuerdings tritt der Hamburger Verfassungsschutz als Bildungs-Akteur auf. Kürzlich hat er in den Räumen der Finanzbehörde am Gänsemarkt eine Ausstellung zum Islamismus ausgerichtet und dort zwei öffentliche Podiumsdiskussionen veranstaltet (am 10. und am 24.4.). Podiumsgäste waren Kriminalpräventionsexperten, Journalisten, Wissenschaftler und Bildungsexperten. Das Niveau dieser Diskussionen war hoch; und das lag nicht zuletzt an der Fähigkeit der Besucher, sich auf einen differenzierten Diskurs einzulassen. Es ging um so spannende Fragen wie:

  • Ist Salafismus nur ein vorübergehender jugendlicher „Hype“?
  • Was treibt einen Jugendlichen dazu, eine fanatisch-religiöse Identität anzunehmen?
  • Was kann die Schule zur Deradikalisierung beitragen?
  • Kann der friedfertige Mehrheitsislam ein Bollwerk gegen den Jihad bilden?
  • Oder ist im Koran die Wurzel des Terrors schon angelegt?

Bis auf eine ganz kleine Gruppe von Islamhassern, die auf jeder öffentlichen Veranstaltung mit eigenen Pamphleten auftauchen und wie eine Sekte agieren, war das großstädtische Publikum in der Lage, diese Fragen in einem gepflegten (und vom Leiter des Landesamts für Verfassungsschutz charmant geleiteten) Diskurs zu erörtern.

Das Peinliche ist: Eine Diskussion auf diesem Niveau hat bisher bei keiner Hamburger Partei stattgefunden. Schon gar nicht bei den Grünen. Dort gibt es immer noch eine Strömung, die schon mit dem Begriff Islamismus ihre Schwierigkeiten hat und der noch nie eine politische Bewertung von Al Qaida oder Boko Haram über die Lippen gekommen ist.

Fügen wir diese Facetten zusammen, so lässt sich daraus das folgende Fazit ziehen:

Wir sind Zeitzeugen einer Abwanderung der Parteien in die Randständigkeit einer immer selbstbewussteren, sich entfaltenden Zivilgesellschaft, welche die Freude am freien Austausch von Gedanken ungefiltert erleben will. Wer sich in einem solchen Raum als Angehöriger einer Partei zu erkennen gibt, hat – das zeigt nicht selten das Aufseufzen der Anwesenden – ein Herkunftsproblem.

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