Man hätte glauben können, dass die Corona-Krise der politischen Rechten in die Hände spielen würde. Endzeitstimmungen rufen eigentlich immer alle Sorten von Gauklern, Propheten, Gesundbetern und Demagogen auf den Plan. Auch die Coronazeit wird, während sie noch läuft, allenthalben munter gedeutet: als Tal der Tränen, als Zäsur in der Menschheitsgeschichte, als Errichtung einer Weltherrschaft, als Rückkehr zu sich selbst, als Abdankung des Westens, als Neustart einer endlich gerechten Sozialpolitik.
Aber de facto ist das Virus dem europäischen Rechtsextremismus nicht gut bekommen. Die Rechten befinden sich in einem mehrfachen Dilemma: Der Staat hat von sich aus Stärke gezeigt und Freiheitsrechte eingeschränkt – das ist eigentlich i h r Programm. Sie können, um sich abzugrenzen, schlecht für eine individualistische Ignoranz gegenüber der Pandemie plädieren. Das wäre im allgemeinen Verständnis nicht „rechts“, sondern einfach nur blöd – und fatal, wenn man z.B. nach Amerika schaut. Rechte Demagogen sind eigentlich immer dafür zu haben, ein Verschwörungsnarrativ zu basteln. Sie würden aber in einer naturwissenschaftlich aufgeklärten Öffentlichkeit auch wieder nur als die letzten Deppen dastehen, wenn sie die Gefahr der Pandemie kleinreden würden, wie es gewisse radikal-religiöse Kreise ja tun.
In einem Diskurs, der zum Schutz der Gesundheit auf technisch-instrumentelle Vernunft setzt, finden politische Krakeeler irgendwie keinen Platz. Wenn das Robert-Koch-Institut wochenlang den Ton angibt, wird die ganze Politik furchtbar rational, selbst wenn noch kein Gegenmittel da ist und wir „auf Sicht fahren“ müssen. Ist das Virus ein „Feind“? Ja und nein. In der Rhetorik der eindringlichen Gesundheitsaufklärung wird es vielleicht zu einem. Aber ein rechtes Feindbild lässt sich an ihm nicht aufziehen. Die Weltgesellschaft ist von einer Pandemie betroffen und generiert als Weltinformationsgesellschaft ein Weltwissen. Es gibt einen weltweiten Austausch von Theorien, Medizinkompetenz und Hilfsmitteln. Die Systeme beobachten sich gegenseitig; die Pandemiebekämpfung wird zu einem Monitoring der nationalen Gesundheitssysteme. Keine Chance für Mummenschanz. Kulthandlungen sind nur noch Orte der Ansteckung. Trotz aller Erschütterungen des gesellschaftlichen Lebens scheint kein Raum vorhanden zu sein für eine „rechte“ Politisierung der Situation.
Es ist offenbar kein Zufall, dass – wie die französische Tageszeitung Le Monde vor ein paar Wochen berichtete – seit März überall in Europa der Zuspruch für Rechtsextreme schwindet.